...und was wenn nicht?
Justin Jacksons Plädoyer für das geschriebene Wort findest du hier.
Alltägliches, Philosophisches, Köstliches, Musikalisches, Kritisches und Erfreuliches, Lächerliches und Inspirierendes aus dem Leben in Berlin.
"Hallo Frau Janik", der Mttsechziger mit graumeliertem Haar, tritt langsam hinter seinem Tresen hervor und lächelt mich freundlich an. Dieses Gefühl, wenn einen der Sex-Shop-Besitzer mit dem Namen begrüßt...
Es sind diese Tage an welchen ich mich dreimal umsehe und hinter jedem Spiegel eine Kamera vermute, weil die Situationen, in welche ich hineingerate, einfach zu gut sind, um nicht Teil einer Comedy Sendung zu sein
"Ich hab Sie doch gleich erkannt, an ihrem strahlenden Lächeln. Sie sind ja auch nicht zum ersten Mal hier!" Festgefroren, wäre an dieser Stelle wohl die treffendere Bezeichnung für mein Lächeln gewesen. Der Kunde, der sich bis dahin in der Dunkelheit seiner Kapuze versteckt hatte, während er die DVDs aus dem Regal "Analdin und die wunde Schlampe" durchforstet, löst seinen Blick von seinem heutigen Unterhaltungsprogramm und nimmt mich erschrocken ins Visier. Sein Gesichtsausdruck pendelt zwischen verstörter Bewunderung und erregtem Entsetzen.
"Ich hab da was richtig großes für Sie!" Der Sex-Shop-Besitzer verschwindet hinter einem Vorhang, im Lagerbereich des Ladens. Der Kapuzen-Kunde beginnt hektisch zwischen der DVD in seinen Händen und dem Vorhang hin un herzuschauen. Die Versuch Schneeflittchen einfach einzustecken und abzuhauen, war wohl noch nie gegenwärtiger.
"Uiuiuiui, ich hoffe Sie können das transportieren, das ist ganz schön groß", tönt es aus dem Hinterzimmer. Der Kapuzen-Junge schaut mich mit riesigen Augen an. Der Plan mit Schneeflittchen durchzubrennen ist längst vergessen. Ebenso wie meine Scham, denn inzwischen habe ich kapiert, dass ich lediglich mal wieder die Hauptrolle in meinem eigenen irrwitzigen Leben spiele. Ich hebe eine Braue und blicke den Kapuzen-Jungen herausfordern an.
"Soooooo, da haben wir das gute Stück....", der Besitzer kommt zurück. Völlig irritiert schmeißt Kapuzen-Boy Schneeflittchen zurück zu den sieben wilden Zwergen und verlässt den Laden im Eiltempo.
"Da haben wir es, bitteschön, Frau Janik, ihr Paket."
Da ist er, mein Rucksack, bestellt bei Amazon und von der DHL, wie sooft direkt beim Sex-Shop abgegeben. Und so verlasse ich auch heute wieder mit einem glücklichen Lächeln und einem Paket unterm Arm den Sex-Shop in meiner Straße.
Noch bevor ich morgens die Augen öffne, denke ich an ihn. Ich stelle mir vor, wie wir den Morgen gemeinsam verbringen, wie wir zusammen am Frühstückstisch sitzen, uns aneinanderschmiegen, und aus dem Fenster gelehnt unsere erste Zigarette rauchen.
Noch bevor ich morgens den letzten tiefen, schlaftrunkenen Atemzug mache, kann ich ihn riechen. Auch wenn sein Duft noch nicht in der Luft liegt, spüre ich, wie er meine Nase kitzelt. Ich atme ihn anz tief ein und halte die Luft an.
Ich will nicht ausatmen, ich will ihn nicht wieder gehen lassen.Noch bevor ich morgens die Hände unter der Decke hervorziehe, kann ich ihn fühlen. Seine Kraft, wenn er mich packt, seine Wärme, wenn er mich umarmt, sein Temperament, wenn er mir in den Arsch tritt und seine Leidenschaft, wenn er mich ganz und gar einnimmt und alles vergessen lässt. Ich spüre seine Seele, die schwarz ist, wie die Nacht, seine Stärke, die unerbittlich ist, wie der Tod und kann dennoch seine Süße erspähen, die lieblich ist, wie die Verliebtheit zweier Teenies.
Wenn ich morgens die Augen öffne, die Finger unter der Bettdecke hervorziehe und aus vollem Herzen gähne, dann tue ich das meist nur, um meinem Morgen mit ihm zu verbringen. Auch wenn die Gedanken an ihn und halbwachen Träume von ihn, besser sind, als ein Sprint durch einen lauwarmen Sommerschauer, so ist doch die Realität mit ihm, noch um so vieles besser.
Wenn ich morgens die Augen öffne, aus dem Bett steige und in die Küche gehe, wenn ich ihn dort erblicke, wie er mich verschmitzt angrinst, weil auch er sich jeden Tag aufs Neue auf diesen Moment freut, dann schließe ich noch einmal die Augen, atme tief ein, genieße den Augenblick und kann gar nicht anders, als zu lächeln.
Wenn ich die Kaffeedose öffne, streicht er mir sinnlich über die Wange und haucht mir einen zärtlichen Kuss auf die Nase. Obwohl es jeden Morgen genauso ist, das gleiche Ritual, eine scheinbar pedantische Gewohnheit, können wir ihn noch immer wie am ersten Tag genießen, diesen Moment. Diesen ersten Moment am Morgen. Fast wie eine unausgesprochene Regel wird nicht gesprochen während die Kaffeemaschine langsam durchläuft. Es gibt keine Hektik, kein hastiges Hin- und Herrennen zwischen Bad und Kleiderschrank. Wir lauschen dem Tropfen der Maschine und schnuppern wie mit dem Aroma in der Luft auch der Tag erwacht.
Wenn ich morgens meine Tasse in den Händen halte, bis zum Rand gefüllt, heiß dampfend, kräftig und schamlos, dann schließe ich ein letztes Mal die Augen. Ich atme ihn tief ein, bis in den Bauch. Ich fahre mit meiner Fingerspitze den Tassenrand entlang und kann spüren wie er mich hitzig neckt. Ich kann riechen wie er inzwischen den ganzen Raum erfüllt, kann ihn sogar hören, wie er mir leise zuflüstert und auch ich säusle ihm nun tiefenentspannt entgegen, „Guten Morgen, schön, dass du da bist“, nehme einen tiefen, heißen Schluck und kann mir keinen schöneren Moment vorstellen, als jenen, wenn er sich langsam und wohlig in meinem Körper ausbreitet. Das ist er, der Augenblick für den es sich aufzustehen lohnt.